Pflegerevolution Lisa und Miran wollen sich um Menschen kümmern – und wagen es. Sie werden Pfleger:innen. Doch der Arbeitsalltag bringt auch sie schnell an ihre Belastungsgrenzen. Sie merken: Es braucht ein Sondervermögen für die Pflege.

Eigentlich kommt Lisa Schandl aus dem Leistungssport. Kickboxen war ihr Ding, „Körperschach“ nennt sie das. Doch alleine wollte sie sich eigentlich nicht durchboxen in der Welt, in der es sie von der bayrischen Provinz in ein Kinderkrankenhaus in Südafrika und schließlich an die Berliner Charité verschlug. Sie ist die erste Abiturientin in der Familie, hat ein Pflegepraktikum absolviert, schnupperte durch die verschiedenen Bereiche. In Berlin arbeitete sie als Sanitäterin, weil sie sich für die Schicksale interessierte, die sie im Rettungsdienst hinter den Wohnfassaden vorfand. Warum kein Medizinstudium? Sie lacht: „Immer diese Frage! Ich hätte auch Psychologin werden können. Aber für mich war klar, ich will ins Krankenhaus und das Medizinstudium fand ich einschüchternd. Ich wusste schon, was mich erwartet und dass die Pflege ein sinkendes Schiff ist. Aber die Realität fand ich dann doch krass.“

2019, noch vor Corona, hat Lisa Schandl ihre Ausbildung an der Charité begonnen.Aber wieso heuert eine 24-Jährige, die tough ist, selbstbewusst und schon viel von der Welt gesehen hat, auf einem „Totenschiff“ an?

Ich treffe Lisa an einem trüben Nachmittag in einem Café am Nollendorfplatz in Berlin. Ins Krankenhaus darf ich sie nicht begleiten, auch nicht in die Schule. Es ist gar nicht leicht, Pflegeschüler:innen zu finden, die Auskunft über ihre Ausbildungssituation geben. Das Krankenhaus ist ein sehr hierarchischer Betrieb, das gilt bis heute. Und Lisa steht gerade kurz vor ihrem Pflegeexamen, hat wenig Zeit. Doch sie weiß sofort, worum es geht. Vor einem Jahr hat sie sich im Streik der Berliner Pflegekräfte engagiert, dem längsten Ausstand, den es in dieser Branche in Deutschland jemals gegeben hat. „Wir haben nicht für Geld gestreikt. Wir haben die Beschäftigten gefragt, was sie brauchen. Die sagten vor allem eins: Entlastung.“

Seitdem mit Corona weltweit die Menschen den Pflegenden von den Balkonen herab Beifall gezollt haben, dürfte über die Systemrelevanz von Pflege kaum mehr gestritten werden. Was hinter Krankenhausmauern oder den Pforten von Pflegeheimen geleistet wird, ist unverzichtbar – und es hat einen Preis. Den aber noch immer niemand zahlen will. Deshalb haben viele Pflegekräfte den Dienst quittiert. Knapp 25 Prozent der Berufsanfänger:innen kehren innerhalb von fünf Jahren ihrem Beruf den Rücken, nur jede fünfte Pflegekraft geht davon aus, ihn bis zur Rente ausüben zu können. Wer ihm treu bleibt, geht häufig in Teilzeit, weil die Belastungen sonst zu hoch sind, in der Langzeitpflege betrifft das sogar zwei von drei Pflegekräften. Der Pflegestreik an den nordrhein-westfälischen Unikliniken für einen Entlastungstarifvertrag geht gerade in die vierte Woche.

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