Einige Lehren der Berliner Krankenhausbewegung für die kommenden Kämpfe im Gesundheitswesen.
40 Prozent der Pflegekräfte erwägen, ihren Beruf zu verlassen. Was eine im Januar breit veröffentlichte Studie der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Berlin herausfand, sollte bestürzend sein. Doch der Aufschrei blieb weitestgehend aus. Zu sehr hat sich die breitere Öffentlichkeit an Meldungen über die Krise im Gesundheitswesen gewöhnt. Die kaum mehr nachzuverfolgenden Corona-Fallzahlen bedeuten aber trotz häufig milderer Krankheitsverläufe mit Omikron eine enorme Belastung der Beschäftigten. Die Regierung setzt auf Durchseuchung, was diese Belastung nicht nur für den Moment verschärft.
Selbst der Übergang in die Endemie wird nicht das Ende der Überlastung bedeuten: ein kaputtgespartes Gesundheitswesen mit fehlendem Personal wird auch auf den kommenden Winter nicht ausreichend vorbereitet sein, wenn zu einem endemisch gewordenen Coronaviraus auch wieder eine reguläre Grippewelle hinzukommt. Einer der für die Studie der ASH verantwortlichen Professor:innen, Johannes Gräske, sagt: „Wenn die Pflegenden ihre Ausstiegsabsichten realisieren, besteht für das deutsche Gesundheitssystem akute Gefahr für einen Zusammenbruch.“ Wie kann der Kampf für mehr Personal diesen Zusammenbruch verhindern? Und wie wird aus dieser Bewegung eine bundesweite Opposition gegen die Regierung?
Gewerkschaften auf Kuschelkurs mit der Regierung?
„Mehr Personal“ ist eine der zentralen Forderungen, die die Kämpfe in den Kliniken Deutschlands in den letzten Jahren zusammenfasst. Besonders die Pandemie zeigt wie unter einem Brennglas, wie fatal sich die Privatisierungswelle der letzten 20 Jahren ausgewirkt hat. Wo es geht, konkurrieren Krankenhäuser durch das Anfang der 2000er Jahre eingeführte DRG-System darum, Behandlungen noch kosteneffizienter durchzuführen und sparen dabei vor allem am Personal: Pfleger:innen werden schlecht bezahlt, Unterbesetzung der Stationen ist die Regel und andere Bereiche des Krankenhauses wie die Reinigung, Krankentransporte oder ähnliches wurden zu noch schlechteren Bedingungen vielerorts ausgegliedert. Vor allem weibliche Beschäftigte sind davon betroffen.
Die Quittung bekommen wir jetzt: Viele Pfleger:innen haben ihren Job aufgegeben oder drohen zumindest damit, wenn sich nichts Grundlegendes ändert. Der Tenor bei vielen ist dabei ähnlich. Sie wollen nicht aufhören, weil sie ihre Jobs nicht mögen, sondern weil sie ihre Jobs überhaupt nicht adäquat machen können. Gegenüber dem RBB fasste das der erst 24-jährige Intensivpfleger Arin so zusammen : „Man wurde der Arbeit in keiner Weise gerecht, die man hätte machen müssen. Du hast teilweise Patienten wochenlang begleitet und du hast alles getan. Und manchmal hast du sie betreut und betreut, kamst nach einer Woche wieder, weil du in einem anderen Zimmer warst oder auf einer anderen Ebene – und dann sind sie dir weggestorben, reihenweise.“ Nicht nur im Krankenhaus, auch in der Altenpflege erwägen 40 Prozent der Beschäftigten ihren Job aufzugeben. Auch hier ist der Personalmangel der wichtigste Faktor.
Nun ist es nicht so, dass das Thema an der Ampel-Koalition vollständig vorbeigeht. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP werden unter anderem neue gesetzliche Regeln zur Personalbemessung versprochen – Vorschläge, die von ver.di und dem Pflegerat erarbeitet wurden. Mit einem Pflegebonus sollen darüber hinaus vor allem die am stärksten belasteten Intensivpfleger:innen belohnt werden. Doch das steigert bei vielen eher die Wut. Denn für die allgemeine Entlohnung aller Beschäftigten hat die Koalition keine konkreten Pläne gemacht. So wird der Pflegebonus von vielen Kolleg:innen nur als „Schweigegeld“ bezeichnet.